Dienstag, 28. Juli 2020

tot durch netflix

der angeschwollene kopf, das rote aufgepumpte gesicht, die irren augen. hände auf dem rücken gefesselt, zuckende glieder. hochgezogen an einem roten seil um den hals. von einem baukran. im morgengrauen. warum eigentlich immer im morgengrauen? wegen des grauens? ich beobachtete gestern unfreuwillig eine hinrichtung. eine netflixserie, die ich mir gerade reingeziehe, produzierte bereits jede menge tote und verletzte, veschwundene, gefolterte und betrogene aber gestern traf es eine hauptfigur, eine, von meiner lieblingsfigur geliebte, tragische, permanent leidenende (a la bruce willis) also jemand, der sich seit einigen tagen als virtuelle figur in meinem leben herumtrieb, in echtzeit. oder fast in echtzeit, die szene blieb unglaublich - bis er endlich nach zwei-3 minuten tot war. die ganze zeit dachte ich noch, der wird gerettet im letzten moment. aber nein! sie haben es durchgezogen. und irgendwie finde ich es gut, weil es gegen meine erwartung läuft. aber vor allem finde ich es gewalttätig. ich bin deprimiert, weil ich etwas sah, dass ich nicht sehen wolte. aber was passiert da eigentlich? das reale an der szene war, dass der tod als etwas irreales auftritt. bis zuletzt bleibt er unglaublich. trotz wissen, trotz warnung, trotz einsicht. der tod kommt und ist so unwirklich, dass man ihn fast nicht ernst nehmen kann. ich habe tote körper gesehen von tier und mensch und ich habe menschen verloren unterwegs, sie verschwanden aber mehr, weil ich sie weder sterben-, noch tot gesehen habe. am eindringslichsten war die leiche meines vaters. er sah nicht wirklich tot aus. er lächelte. er war tiefgefroren oder zumindest gekühlt. ich konnte aus dem raum, in dem er aufgebart war nicht raus, weil er so untot aussah, erst als ich die gerinnsel sah, das gesammelte blut hinter den ohren am ganzen hinterkopf, erst dann war mir klar, okay, er ist tot, jetzt glaube ich es. also geh ich raus und nehme die bilder mit. die gerinnselbilder, das lächeln, den gesichtsausdruck. die bilder sind mein beweis. sie erzählen mir jedesmal, wenn ich mich frage, wo er ist? er ist tot. sein körper, mittlerweile in einer urne auf dem friedhof. aber ich brauche die bilder, sonst kommen mir meine eltern fast gleich tot oder lebendig vor, obwohl meine mutter lebt. zurück zur hinrichtung. die brutalität mit der netflix in mein leben eingreift ist übergriffig, aber das wissen wir doch schon, oder? ungefragt kommen wir zur welt, müssen durch ein bildungssystem und in eine arbeitswelt, in beziehungs - und gender konstruktionen verwickelt, bewegen wir uns durch ein leben, das wir nicht richtig leben dürfen. die erdbeeren sind nicht schön, nicht heile genug, findet mein sohn - sechs jahre alt - und vor ihm auch schon in dem alter, meine töchter… die erdbeeren sind lecker und rot und wunderbar, aber wenn man sie genauer untersucht, sind sie nicht das, was wir finden wollen. das leben wird in richtung zeit und anspruch aufgespannt. statusspiele, machtspiele, ehrgeizspiele und so weiter… nichts davon ist einfach nur da. alles virtuell, ein potezial, erreichbar - aber noch nicht erreicht, verwirklichbar aber noch nicht aktualisiert. also müssen die erdbeeren eine schwachstelle haben, sie müssen einfach betrug sein. und sie sind es ja auch. sie sind es! wieder zurück zur hinrichtung. die gewaltsam vorgeführte hinrichtung eines sympathen ist ein ironisches eingeständnis, dass es da nichts gibt. es gibt keine jenseitige belohnungwelt, keine alternative, was es gibt ist nackte gewalt, mit der man tötet und getötet wird. das gibt es zum frühstück und zum mittagessen und abends gibt es bilder, um zu vergessen, dass wir doch vergessen wollten, was wir vergessen wollten.

1 Kommentar:

  1. Ja, den Tod können wir auch in echt nicht fassen, nicht begreifen und nicht verstehen. Darüber denke ich oft nach. Er soll uns ja auch irreal vorkommen, weil wir ihn ja überwinden wollen, weil er nicht ins Konzept passt.
    Da gibt es diesen Podcast Zeit Wissen aus 2017 mit Yuval Harrari.
    ich muss auch an Fernanda denken, der Vater von Fernanda hat sie mal - ich glaube sogar in einer Performance erzählt - ist in Argentinien verschleppt und ermordet worden als Fernanda noch klein war. Und wenn ich sie richtig verstanden habe war das für sie auch ganz unwirklich und lange unbegreiflich.
    Und ja, es gibt keine Welt hinter der Welt.
    Die Mutter einer Freundin pflegt ihren dementen inkontinenten Mann und HASST es und sagt dann ganz vorwurfsvoll: DAS SIND HIER MEINE LETZTEN JAHRE, so sind meine letzten Jahre.

    Ja, was sollen wir tun?

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